Durchstarten? - Die erste Woche in Indien
- J. Kar
- 15. Juli 2018
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. März 2019
Am Sonntag habe ich die Kinder im Heim kennengelernt. Sie sind alle total süß und nett. Für ihr Alter können sie nicht nur schon echt gutes Englisch, sondern können auch schon echt gut tanzen. Sie haben mir den ein oder anderen Dancemove beigebracht, was irre viel Spaß gemacht hat und zu dem ein oder anderen Lachflash geführt hat. Es wurde nicht nur zu klassisch indischer Musik die Tanzfläche unsicher gemacht, sondern auch zu Pop- und Technomusik (natürlich trotzdem national). Da es hier schon sehr früh dunkel wird, wir eine Weile getanzt hatten und Freiwillige nicht mehr alleine draußen sein dürfen wenn es dunkel ist, mussten wir mit einem Auto abgeholt werden. Der klapprige Van, bei dem die linke Tür lediglich mit Hilfe eines Seiles an dem Gefährt blieb, war für acht Leute vorgesehen. Da wir jedoch viele Leute waren, die nach Hause mussten, fuhren wir mit 14 Leuten darin, sodass er wortwörtlich vollgestopft bis oben hin mit Menschen war. Das war im Nachhinein wahrscheinlich sogar gut, denn hier sind Gurte im Auto nicht unbedigt üblich.
Am nächsten Tag hieß es um 6:30 Uhr aufstehen, anschließend frühstücken und zur Haltestelle des Schulbusses laufen. Bereits nach kurzer Wartezeit kam ein kleiner gelber Bus angerast, welcher voll mit Kindern war. Als wir Freiwilligen in den Bus einstiegen, machten die Kinder sofort Platz und gaben ihre Sitzplätze auf. Ein „Nein“ akzeptierten sie nicht. Diese Art der Gastfreundschaft ist noch etwas ungewohnt, da immer alles für einen gemacht wird und ein gutgemeintes Ablehnen nicht angenommen wird.
In der Schule angekommen hatte ich ein bisschen Leerlauf, da die Kinder erst frühstückten. Anschließend ging ich mit in die Nursery um die eintreffenden Kinder zu begrüßen und ein Auge auf sie zu haben. Denn wie es eben so bei Kleinkindern ist, gab es wildes Toben. Eine Hauptattraktion der Nursery Halle ist eine wirklich kleine plastik Rutsche, welche beim Rutschen jedoch ordentlich ins wanken gerät. Also war eine der Hauptbeschäftigungen in dieser Zeit, die Rutsche fest zu halten und dafür zu sorgen, dass die Kinder eine Schlange bilden, anstatt zu drängeln.

Anschließend gab es die „Prayer time“ für die sich die Kinder alle mit einer Armlänge Abstand in eine Reihe stellen mussten. Nach einem kurzen Gebet wurden noch Sprechreime aufgesagt und die Kinder gingen in ihre Klassen. Ich schloss mich der LKG-A an, was eine Klasse des mittleren Jahrgangs in der Pre-School ist. Diese hatte als erstes Yoga auf dem Plan stehen. Also gingen wir in eine große Halle und legten diese mit Decken aus. Es wurde zunächst mit Meditation und Atemübungen begonnen. Danach kamen verschiedene Figuren und die Kinder konnten selbst nach vorne gehen und welche vorstellen. Kurz vor Schluss rieben wir alle unsere Hände gegeneinander und hielten sie anschließend vor unsere Augen. Diese Übung soll durch die Wärme das Gehirn aktivieren. Ich habe das zuvor in Deutschland erzählt bekommen, dachte aber zu dieser Zeit, dass ich auf den Arm genommen werde. Somit war diese Übung die amüsanteste für mich. Zum Schluss wurde auf Telugu für Sonne gebetet, da der Himmel hier momentan stetig bewölkt ist.
Nach dem Yoga gab es für die Kleinen eine Snackpause und die Klassenlehrerin zeigte mir ihr Arbeitsmaterial. Als die Pause beendet war wurde wieder viel gesungen und gereimt. Anschließend wurde mit der Englischstunde begonnen (die Kinder sprechen nur Telugu). Die Stunde bestand daraus sie an unser Alphabet heranzuführen, dazu sollten sie zuächst nur Striche zeichnen. Eine „standing line“, eine „sleeping line“ und schräge Linien, dessen Betitelungen ich vergessen habe. Alles in Allem war der Unterricht chaotischer als ich ihn gewöhnt bin, da teilweise nur drei von fünfzehn Schülern (aufgrund mangelnden Materials) am arbeiten waren und das für die Lehrkraft nicht wirklich von Interesse war.
Um 12:30 Uhr bekamen die Kinder Mittagessen und anschließend legten sie sich bis 15:00 Uhr zum Schlafen hin. Da ich ihnen dabei nicht wirklich behilflich sein konnte, versuchte ich mich an der Registrierung hier in Kadapa. Dabei kamen jedoch einige Probleme bezüglich des Visums auf, weswegen ich das Ganze vertagen musste.
Nämlich auf den nächsten Tag. Die Nacht war kurz und der Tag begann sehr früh, da wir schon um 7:00 Uhr im Projekt sei sollten. Das hatte uns die Heimgründerin am Abend vorher ganz spontan mitgeteilt. Grund dafür war der Commissioner des Bundesstaates Andhra Pradesh, welcher die Aarti School besuchen wollte. Also standen wir alle um kurz vor 7 Uhr auf der Matte. Da Pünktlichkeit hier jedoch eher klein geschrieben wird, kam der Commissioner erst um 8:15 Uhr. Nach einem Händedruck konnte dann jeder wieder seiner eigenen Wege gehen. Also begann ich den Morgen wieder damit, die Kinder zu begrüßen. Diesmal war es jedoch nicht meine Aufgabe nach der Rutsche des Todes zu gucken, also begann ich mit den Kindern ein bisschen Jumper zu spielen. Naja spielen kann man das eigentlich nicht nennen. Es besteht daraus, die Kinder an den Händen festzuhalten und sie hochzuziehen, wenn sie springen. Am Vormittag brachte ich mich etwas in der schuleigenen Bücherei ein, indem ich dabei half Bücher zu labeln, zu sortieren und zu registrieren. Während der Arbeit dort musste ich immer wieder weg, um meine Registrierung weiter zu machen, denn ein Mitarbeiter des Heims und einer der erfahreneren Freiwilligen wollten mir dabei helfen, hatten jedoch auch nicht viel Zeit. Zu dem Problem mit dem Visum kam jedoch auch noch ein Zeitliches. Bekannt ist es, dass man sich innerhalb der ersten 14 Tagen in Kadapa registrieren muss. Jedoch sind die Behörden in Kadapa gerade dabei ihr System zu ändern. Somit hieß es von heute auf morgen, dass die Registrierung binnen 24 Stunden verlaufen muss. Wer rechnen kann weiß, dass ich diese Frist um ein paar Tage überschritten hatte. Doch zum Glück herrscht hier in Indien das Motto „no problem“, somit wurden auch für diese Probleme Wege gefunden passend zu tricksen und sie auf diese Weise zu umgehen. Eine weitere Bearbeitung der Registrierung sollte jedoch wieder erst am nächsten Tag auf dem Polizeirevier stattfinden.
Nachdem ich den restlichen Vormittag in der Bücherei verbracht hatte, gab es Mittagspause. Diese beginnt immer mit dem Lunch um ca. 13 Uhr/13:30 Uhr. Dabei sitzen alle Freiwilligen im Kreis auf dem Boden und haben etwas Zeit sich auszutauschen. Momentan sind Leute aus den USA, Österreich und Deutschland hier. Die Meisten sind jedoch nur für zwei Monate da. Weswegen ab Anfang August nur noch Birthe, eine Freiwillige aus Österreich und ich hier sein werden.
Nach der Mittagspause begann ich mit zwei Mitfreiwilligen eine AG rund um das Thema Umwelt zu planen, da sich hier die Müllberge türmen und die Luft (wenn auch nicht so stark wie in der Stadt) versmoked ist. Die AG soll also zur spielerischen Aufklärung dienen und die Kinder für das Thema sensibilisieren.
An dieser Stelle möchte ich auch dich als Leser bitten aufmerksam einzukaufen. Denn letztlich ladet auch unser Müll hier oder in den Meeren. Also brauchen die Kinder jedes Happy Meal Spielzeug, was eh nicht richtig funnktioniert und nach zweimal Spielen im Müll landet? Müssen wir unseren Wohlstand durch 4 Smartphones und 6 Autos ausdrücken? Reicht beim Einkaufen nicht auch ein wiederverwendbarer Stoffbeutel anstelle einer Plastiktüte? Es sind eben die Kleinigkeiten auf die auch wir in Deutschland achten können, um das Ganze wenigstens ein bisschen einzuschränken.
Den ganzen Tag über schlenderte ein kleiner Junge in meiner Nähe rum, der ca. 12 Jahre alt ist. Mir wurde erklärt, dass er vom Unterricht ausgeschlossen wurde, weil er zu unruhig sei. Somit kommt er jeden Tag umsonst zur Schule und hängt in der Pre-School rum. Für eben solche Schüler, die viel Aufmerksamkeit brauchen, unruhig sind und dadurch auch im Unterricht hinterher hängen, sollte es eigentlich eine Bridgeschool geben. Doch da nicht bekannt war, wie weit die Planung fortgeschritten war, beschloss ich die Leiterin der High School zu fragen, ob ich den Jungen unterrichten könnte. Wenigstens in den wichtigesten Fächern, da der Abstand zu den anderen Kinder sonst zu groß wird und ich dachte, dass Unterricht von mir vermutlich besser wäre als gar keiner. Natürlich wollte ich mir alle wichtigen Informationen, Materialen und Anweisungen holen. Da die Planung der AG jedoch etwas länger dauerte, war der Tag schon wieder rum und ich beschloss am nächsten Tag zu fragen. Abends spielten wir Freiwilligen „the Game“, da wir jedoch in jeder Runde noch Karten übrig hatten, wurden aus einer Runde mehrere. Dadurch vergaßen wir die Zeit und fanden erst ziemlich spät den Weg ins Bett.
Von leichter Müdigkeit geplagt ging es am nächsten Tag zu normaler Uhrzeit weiter. Kinderbegrüßen und Jumper spielen. Anschließend ging es zum Polizeirevier um endlich die Registrierung abzuschließen. Um 10 Uhr war ich auf dem Revier und wurde in einem kleinen stickigen Haus zum Warten aufgefordert. Um die Luft wenigstens ein bisschen zu verbessern hing an der Decke ein Ventilator, welcher rhythmische Klackergeräusche machte. In der Kombination mit meiner ohnehin schon vorhanden Müdigkeit, schlief ich kurzerhand für ein paar Minuten in dem Wartezimmer ein. Nach dem Aufwachen war nur noch eine Frau vor mir, trotzdem ging es erst um 11:20 Uhr weiter. Ich wurde in ein großes, prunkvoll orientalisches Gebäude geführt. Um den Einlass gewährt zubekommen musste ich mein Handy abgeben und wurde zweimal auf Waffen und sonstiges geprüft. Ach einer weiteren Wartezeit von ca. 30 Minuten, kam ich endlich an mein Ziel. Ich wurde in einen komplett weißen Raum geführt, welcher stark runtergekühlt war. Hinter einem großen Tisch saß ein Officer, welcher sich meine Papiere anschaute und durch bloßes anstarren prüfte, ob ich auch wirklich ich bin. Er gab die Papiere einem weiteren Mann und der ganze Spuk war vorbei. Ich war registriert. Um ca. 12:00 Uhr ging es wieder zurück zur Schule.
Kaum war ich zurück, gab es ein Gespräch mit der Heimgründerin, Sandhyamma, Birthe und mir. Man könnte es als Kennlerngespräch betiteln, bei dem sie nicht nur uns kennenlernte, sondern Birthe und ich ihre Pläne für uns erfuhren. Theoretisch kann ich hier alles machen, was ich möchte. Ich kann das Management der Pre-School übernehmen oder den Lehrern der High School dabei helfen ihren Unterricht kreativer zu gestalten. Doch auf Grund des Jungens, den ich am Vortag näher kennengelernt hatte, lag es mir besonders am Herzen, dass leistungsschwächere Kinder nicht vergessen und fallen gelassen werden. Noch bevor ich diesen Punkt ansprechen konnte, erzählte mir die Heimleiterin von ihrem Plan der Bridgeschool. Sie hatte einige Tage zuvor ein Gebäude für die Schule besorgt und suchte nun nach jemandem, der das Projekt in die Hand nimmt. Wo genau ich hingehe und was ich machen werde wird sich erst am Montag nach einer Konferenz herausstellen, bei der ich Teil sein darf. Wobei ich jetzt schon Feuer und Flamme auf die Bridgeschool bin.
Die nächsten Tage hatte ich überwiegend mit Planungen zu tun. Außerdem besuchte ich die erste Klasse der High School, um Teil einer Mathestunde zu sein. Im Vergleich zur Pre-School war dieser Unterricht schon viel geordneter und lernorientierter. Doch im wesentlichen passierte nicht viel Spannendes.
Am Donnerstag Nachmittag lud Sandhyamma neben mir eine Hand voll Leute dazu ein, mit ihr ein Weber-Dorf zu besuchen. Also machten wir uns nach Schulschluss voller Vorfreude auf. Im Dorf angekommen wurden wir in ein paar kleine Privathäuser geführt, in denen die Weber dabei waren Saris herzustellen.

Es waren insgesamt drei Häuser, doch sie glichen sich alle sehr stark. Es waren (für westliche Verhältnisse) kleine dunkle Wohnräume, in denen an einer Wand ein Teil des Bodens fehlte. Über diesem Loch hing ein großer Webstuhl, welcher auf sehr traditionelle Art funktionierte.
Die Fäden die von diesem ausgingen hingen in einem dicken Knäul an der gegenüberliegenden Wand.
Nachdem wir uns angeguckt hatten, wie Saris traditionell per Handarbeit hergestellt werden, wurden wir von Sandhyamma in einen großen Laden geführt, dessen weißer Boden von Neonlicht beleuchtet wurde.
An den Wänden standen riesige Regale, welche zum Bersten vollgestopft mit Saris waren. Hier wurden also die handgemachten Saris verkauft. Da Sandhyamma sicher gehen wollte, dass wir auch wirklich alle einen Sari haben, durften wir uns alle einen aussuchen und sie kaufte sie anschließend.
Da ist wieder diese Gastfreundschaft, die man in Deutschland vermutlich nicht so ausgeprägt findet. Allgemein liegt es Sandhyamma und allen anderen in dem Projekt sehr am Herzen, dass die Unterkunft, Kadapa und Indien für uns Freiwilligen wie ein zu Hause ist.
Da Birthe und ich uns am Samstag traditionelle indische Kleidung kaufen wollten, gingen wir am Freitag nach der Schule ins Aarti Village (das Heim) um die Kinder zu besuchen und um eines der älteren Mädchen zu fragen, ob sie uns begleiten wolle. Diese stimmt sofort zu. Also hieß es am Samstag Shopping Time. Normaler Weise ist an jedem zweiten Samstag „activitiy Saturday“ und somit ein Arbeitstag. Dieser Samstag wäre eigentlich ein freier Tag gewesen, doch am Donnerstag wurde uns mitgeteilt, dass es einen Vortrag in der Schule geben werde, weswegen wir zuvor in die Schule gingen. Die Schüler der 9. Klasse hatten in den vergangenen Wochen Experimente gemacht, welche sie nun vorstellen wollten. Wenn mir Leute in Deutschland sagen, dass ich zu schnell rede, sollten sie sich erstmal ein paar indische High School Schüler bei einem Vortrag anhören. Trotzdem machten die Schüler das sehr gut. Sie erklärten die antibakterielle Wirkung von Knoblauch und erzählten, wie sie selbst eine Batterie hergestellt hatten. Nach dem Vortrag ging es dann zum Shoppen in die Innenstadt.

Da sich ein paar Leute uns angeschlossen hatten, fuhren wir wieder mit dem uns gut bekannten Van. Diesmal waren wir mit 18 Leuten darin. Nachdem ich mir endlich meine ersten eigenen inischen Rupien abgehoben hatte, schlenderten wir von Laden zu Laden. Da die Motive auf den meisten Kleidungsstücken jedoch meiner Meinung nach sehr gewagt und extrem waren, dauerte es einen kurzen Moment bis wir einen Laden mit guter Auswahl fanden, bei dem jeder fündig wurde.
Es war das erste Mal, dass ich richtig in der Innenstadt war. Man kann die Eindrücke eigentlich kaum beschreiben. Überall Menschen, Stände, Tiere, Müll, der Geruch von Alkohol und Benzin, kleine Rinnsale, bettelnde Menschen und in mitten dem Gedrängel auch noch Motorradfahrer, welche versuchten sich ihren Weg durch die Menge zu bahnen.
Nach dem Trip waren wir bei Sandhyamma zum Abendessen eingeladen, da ihre Tochter (bei der ich in Bengaluru bereits übernachtet hatte) zu besuch war. Es war ein schöner, interessanter und langer Abend mit den verschiedensten Gesprächen.

Am Sonntag werde ich wieder ins Village gehen, um die Mädchen zu sehen und am Montag ist dann die große Konnferenz, welche mir hoffentlich ein bisschen Klarheit geben wird.
Ach ja, die Monsunzeit ist übrigens gerade dabei zu beginnen.
Liebe Grüße aus Indien
Zia
Update: Die Aufgabe die Bridgeschool mit zu managen und dabei zu helfen sie auf die Beine zu stellen wurde mir heute in die Hände gelegt. Da es (laut Sandhyamma) viel Arbeit, keine leichte Aufgabe und viel Verantwortung sein wird, bin ich schon ganz gespannt auf die kommenden Wochen und kann es kaum erwarten mit in das Projekt zu starten.





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